Versöhnungskirche

Die Versöhnungskirche wurde von 1930 bis 1932 nach einem Entwurf des Architekten Hans Heinrich Grotjahn erbaut. Aufgrund der Gegebenheiten des Bauplatzes verzichtete man auf die im Kirchenbau übliche Orientierung (östliche Lage des Chores). Die Kirche erstreckt sich in Süd-Nord-Richtung. Sie entstand in bewusster Modernität als Stahlbetonskelettbau.

Die Versöhnungskirche – eine Baugeschichte

Versöhnungskirche Foto RudolphDie Ev. - Luth. Versöhnungskirche in Leipzig - Gohlis, eingerückt an der Franz – Mehring – Straße / Viertelsweg, ausgerichtet von Süd nach Nord, ist hier auf höchster Stelle errichtet. (1) Vom ca. 43 m hohen Turm bietet eine Aussichtsplattform unverstellten Blick auf die Stadt Leipzig und ihr unmittelbares Umfeld. Das Gotteshaus war als städtebauliche Dominante einer geschlossenen, auf die Architektur der Kirche abgestimmten dreigeschossigen geschlossenen Wohnbebauung geplant, zu deren Ausführung es letztlich nicht kam. So erhielt die am 06.03.1932 geweihte Kirche eine Solitärstellung, die bis heute das Gebäude in seiner Gesamtheit sichtbar macht.

Die Ausbreitung der Stadt Leipzig nach Norden führte zur Neugründung (1.1.1913) der aus der Friedenskirchgemeinde herausgewachsenen Gemeinde Leipzig – Gohlis – Nord mit ca. 15.000 Gemeindeglieder, die nördlich der Wahrener Bahnlinie wohnten.

Die neue Gemeinde hatte zunächst keine eigene Kirche. Der erste Gottesdienst fand am 4.5.1913 im „Betsaal“, dem Schulsaal der damaligen 4. Höheren Bürgerschule (früher Hallische Straße, jetzt Georg – Schumann – Str./Sassstraße) statt. Gastweise stand nach Bedarf die Friedenskirche zur Verfügung. Als 2. Pfarrer nach Friedrich Naumann wurde hier am 3.10.1915 Johannes Herz, unter dem die Versöhnungskirche erbaut wurde, in sein Amt eingeführt. Am 1.6.1920 erhielt die Gemeinde den Namen „Versöhnungsgemeinde“.

Der Kirchenvorstand formulierte schon 1916 und 1918 Bedingungen für einen   Wettbewerb. Gewollt war ein moderner protestantischer Kirchenbau. Zunächst hatte die Versöhnungsgemeinde bei dem Wunsch nach eigener Kirche ein neues Wohngebiet in Gohlis – Nord noch nicht im Blick.  Man informierte sich bei Besichtigung neuerer Kirchenbauten u.a. in Dresden, Halle, Berlin, Hamburg, Frankfurt a.M. Oder Darmstadt. Der 1. Weltkrieg, Nachkriegszeit und die Inflation 1922/23 hatten einen baldigen Kirchenneubau verhindert, obwohl schon im Gründungsjahr der Gemeinde das Stadterweiterungsamt Leipzig Standorte für einen Kirchenbau auswies.

Am 21.9.1920 wurde ein  Vertrag zwischen Stadt und Kirchgemeinde über die kostenlose Überlassung des heutigen  Geländes am Viertelsweg östlich des neuen Friedhofs, auf dem sich noch die ehemalige Wagnersche Gärtnerei befand, als Gegenleistung für die Übertragung des Patronats an die Stadt, verbunden mit dem Kollaturrrecht (Recht zur Pfarrstellenbesetzung) der Kirchgemeinde kostenlos als Baugrund überlassen. Das Gärtnereigebäude im Südwesten des Grundstücks, das auf ältesten Kirchenabbildungen zu sehen ist, sollte noch 15 Jahre bestehen bleiben, was den Ausbau der linken Eingangsterasse verzögerte.

Ein Architektenwettbewerb wurde am 18.7.1928 ausgeschrieben. Die Kirchgemeinde erarbeitete ein Bauprogramm, das die Kirche in einen Gebäudekomplex neben Pfarrhaus und Gemeindehaus stellte. In einem ersten Bauabschnitt sollte die Kirche gebaut werden. Der verzögerte Baubeginn gab Gelegenheit, am Bauprogramm zu arbeiten und es, angeregt durch Exkursionen von Seiten  des Kirchenvorstandes zu präzisieren. Zum Wettbewerb wurden selbstständige Architekten zugelassen, die in Leipzig ansässig waren. Die hohe Beteiligung von 52 Architekten, die 73 Entwürfe einbrachten, überraschte. Das Preisgericht war mit bedeutenden Persönlichkeiten besetzt, prominentester Preisrichter war der Weimarer Architekturprofessor D. theol. Otto Bartning, der als einer der progressivsten Kirchenarchitekten Deutschlands galt.

Als 1. und 3. Preisträger ging aus dem Wettbewerb Hans Heinrich Grotjahn (geb. am 17.07. 1887 in Hannover, gest. am 09.01.1962 in Stuttgart), der sich mit 3 Entwürfen bewarb, hervor. Ein Entwurf von Grotjahn wurde angekauft. Grotjahn, deutschlandweit, auch in Oberitalien, lernend und schaffend, nach   dem 1. Weltkrieg in Leipzig tätig, beherrschte die gestalterischen Möglichkeiten damals moderner Architektur, von Heimatstil über Expressionismus, Art decó (Entwurf zum Rathaus in Leipzig - Mölkau), „Neue Sachlichkeit“, bis zu „Kubismus“ und „Funktionalismus“.

Der Kirchenvorstand (Beschluss vom 11.12.1928) beauftragte im Einvernehmen mit der Jury Grotjahn, am Kirchenbauprojekt weiter zu arbeiten. So befasste sich Grotjahn auf Anraten von Pfarrer Herz, der Anregungen  seiner Englandreise    aufnehmend, der „Neuen Sachlichkeit“,  modernem Bauen  und den Kirchenbauideen Bartnings gegenüber aufgeschlossen war, mit aktueller  Literatur zum Thema und unternahm  ab 1.2.1929 eine Studienreise an markante Punkte des Kirchenneubaus. Bereits im Februar legte Grotjahn neue Pläne für den Kirchenneubau in Gohlis vor. „Es ist einer glücklichen Konstellation in Leipzig-Gohlis zu verdanken, dass die Versöhnungskirche die wohl konsequenteste Umsetzung der Ideen des Neuen Bauens bei einem Kirchenbau Deutschlands darstellt.“ (2)

Im Frühjahr 1930 hatten sich Kirchenvorstand, Kirchenbauausschuss und Architekt auf einen endgültigen Entwurf geeinigt. Der Baubeginn erfolgte am 09.07.1930, mit dem ersten Spatenstich, die Grundsteinlegung am 31.08.1930 unter Bezug auf den Jahrestag der Augsburgischen Konfession.

Die Kirche wurde bewusst in moderner Bauweise als Eisenbetonskelettbau (abgeschlossen anfang Januar 1931) ausgeführt, die Füllungen im Sockel aus Ziegel, im Oberbau aus Bimsbetonstein, im Turm aus Glasziegeln. Das Mauerwerk wurde verputzt und weiß gestrichen („Weiße Kirche“). Mit der Ausführung der Arbeiten außen und innen wurden ausschließlich Leipziger Firmen beauftragt. Dem Bildhauer und Architekten  M(ax) Alf(fred) Brumme wurde die gesamte bildkünstlerische Ausgestaltung übertragen, (Hannes Schulz) Odo Tattenpach die Fensterentwürfe in Kirchenschiff, Nebenräumen und für die Feierkirche,  Curt Metze die Fensterentwürfe der Sakristei. Brumme entwarf auch das liturgische Gerät. Das in C – Dur gestimmte Bronze – Geläut aus Apolda wurde am 20.09.1931 geweiht. Am 13.06.1942 mussten die C – und E – Glocke für Kriegszwecke abgegeben werden. 1954 wurden sie durch Stahlglocken ersetzt.

Brumme stiftete zwei den Eingang zur Feierkirche rahmende Sgrafitti.

Für den Altarraum wurden Taufstein und Lesepult aus Holz in den 50ger Jahren nach Entwürfen von Brumme nachgerüstet.

Der Einbau der Orgel aus der Werkstatt Furtwängler & Hammer (Hannover) nach einem Dispositionsentwurf, den  Thomasorganist Günther Ramin  gemeinsam mit dem Kantor der Versöhnungsgemeinde Herbert Schulze  erarbeitete, war am 28.02.1932 abgeschlossen. Am 23.01.2005 wurde die Orgel, die sich in desolatem Zustand befand, nach original getreuer Sanierung wieder geweiht. In der Feierkirche wurde ein Orgelpositiv des Orgelbauers Paul Ott aus Göttingen aufgestellt, das durch ein Orgelpositiv der Firma Eule (Bautzen) 1976 ersetzt wurde.

Matthias Klemm entwarf das Kreuzfenster an der Südseite der Kirche 1972/73 neu.

Der Baugeschichte der Kirche folgte nach der Indienstnahme 1932 bald die „Geschichte ihrer Sanierung“ (3), die erst 2016 ihr vorläufiges Ende fand. Die in den meisten Teilen originalgetreue Sanierung des Gebäudes im Inneren und Äußeren lässt das Gotteshaus nun in ursprünglicher Schönheit „erstrahlen“.   Das Bauprogramm, das die Kirche in einen Komplex mit Gemeinde – und Pfarrhaus stellte, ist nicht verwirklicht worden. So ist die originale Architektur der Versöhnungskirche, die inzwischen aufgenommen wurde in die „Straße der Moderne“ (4), von allen Seiten einsehbar.  Der nördlich der Kirche errichtete Kindergartenneubau greift wie die geplante und ausgeführte Wohnbebauung östlich der Kroch - Siedlung, wie auch südöstlich nahe der Versöhnungskirche, ausgeführt zeitnah zum Bau der Kirche, die Idee der  klassischen Moderne auf. Die Versöhnungskirche erhält so verspätet etwas vom ursprünglich  angedachten städtebaulichen Umfeld.

Pfr. i. R. Dr. Sieghard Mühlmann

Anmerkungen

(1) Zur Baugeschichte und Architektur der Versöhnungskirche : Ein moderner evangelischer Kirchenbau. Leipzig – Berlin 1932. - Eine moderne evangelische Kirche  und  die Versöhnungsgemeinde. Herausgegeben vom Ev.-Luth. Kirchenvorstandes Leipzig 1994. - Stadt Leipzig. Die Sakralbauten. Deutscher Kunstverlag 1995. S. 1129 – 1141. - Die Versöhnungskirche in Leipzig – Gohlis (S.o.). - S. Auch zur Bedeutung von Pfarrer Johannes Herz als „Bauherr“,Schmutzler : Evangelisch – sozial als Lebensaufgabe. EVA Leipzig 2013.

 (2) G. H.W. Pasch : Wettbewerb und Baugeschichte. In : Die Versöhnungskirche in Leipzig – Gohlis, S. 33.

 (3) D. Michel : Unsere weiße Kirche – Bau, Erhaltung und Pflege eines bedeutenden Kirchbaus. In : Mitteilungsblatt Förderverein 5(2013) S. 4 – 7.

 (4) Siehe Mitteilungsblatt Förderverein 8(2016) S. 8 f.